Aus Electronica '93

DER GEKLONTE KLANG

EINE MULTIMEDIALE, INTERAKTIVE KOMPOSITION FÜR DAS KRONOS QUARTETT

Naturklänge - vom Streichquartett erzeugt - werden digitalisiert und damit geklont. Durch die Digitalisierung ist es möglich, bis zu den kleinsten Bestandteilen der Klänge vorzudringen, sie zu zerschneiden, neu zusammenzusetzen, zu überlagern, addieren, multiplizieren. Eingriffe in die Frequenzspektren und Manipulationen der Wellenformen lassen Klänge bis zur Unkenntlichkeit mutieren. Diese Klangmanipulationen zusammen mit Wachstumsphänomen im Spannungsfeld mit dem klassischen Klangkörper Streichquartett bilden die Grundlagen der kompositorischen Arbeit.
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LASERLICHT IN DER INTERAKTIVEN PERFORMANCE

Laserlicht besitzt mehrere Eigenschaften, die durch andere Lichtquellen nur sehr schwer oder überhaupt nicht realisiert werden können. Je nach Art des Lasers steht ein Lichtstrahl mit hoher Intensität, geringer Divergenz (Streuung) und unterschiedlichen Farben zur Verfügung. Das Licht ist kohärent, d. h. die einzelnen Lichtwellen schwingen anders als beim Sonnen- oder Glühlampenlicht in Phase, werden sozusagen im Gleichschritt emittiert.
Beim Projekt "Der geklonte Klang" kommen unterschiedliche physikalische Besonderheiten zur Anwendung. Da das Licht schon beim Strahlaustritt sehr fein gebündelt ist, lässt es sich über relativ kleine und dadurch schnell bewegliche Spiegel ablenken. Diese schnelle Ablenkbarkeit ermöglicht auch die Projektion von Images, deren Formen so schnell abgetastet werden, dass für das Auge der Eindruck von geschlossenen Linienzügen entsteht. Die als Vektorgraphik abgespeicherten Figuren können in Echtzeit abgerufen werden und darüber hinaus in Ihren Eigenschaften manipuliert werden. So steuern musikalische Parameter die Bildgröße, Verzerrung und "Schreib"-Geschwindigkeit. Ebenso kann die Geschwindigkeit von Metamorphosen zwischen mehreren Images direkt durch die Musiker bestimmt werden. Das Konzept der interaktiven Software "Phonola" ist in der folgenden Graphik dargestellt, wobei die in Fettschrift gedruckten Ein- und Ausgänge bei dem Projekt "Der geklonte Klang" benutzt werden.
Die Kohärenz des Laserlichts ist Voraussetzung für die Erzeugung von Interferenzfiguren und die Herstellung von Hologrammen. Interferenzfiguren entstehen, wenn das Laserlicht durch geeignete Materialien gestreut und mit sich selber überlagert wird. Auch im Auge des Betrachters entstehen Interferenzen, was dem Laserlicht eine besondere, nur unmittelbar erfahrbare Qualität verleiht. Holographisch erzeugte Gitter verwenden wir für die Strahl- und Figurenvervielfachung. 

Die hohe Intensität des Laserlichts in Verbindung mit seiner geringen Divergenz lässt es auch über größere Entfernungen in der Luft sichtbar werden. Dadurch steht ein gestalterisches Mittel zur Verfügung, Verbindungen und räumliche Lichtflächen darzustellen.
Während bis jetzt von der Gestaltungsmöglichkeit von Laserimages durch Musik die Rede war, soll im Folgenden ein Weg der Umkehrung dieser Zuordnung beschrieben werden.
Bei "Der geklonte Klang" bekommen Laser-Lichtflächen eine zusätzliche Funktion: sie dienen als Eingabemedium für die Generierung von Klangparametern, indem eine speziell entwickelte Hard- und Software Schatten und Reflexionen von in das Licht eintauchenden Gegenständen verfolgt. Die Software-Moduls für die Klangsteuerung aus Licht-Daten tragen den Arbeitstitel "Digitus-Paket", - ausgehend von der Situation, dass ein Finger ("Digitus") in den Lichtbereich eintaucht. Aus dem Lichtreflex des Fingers oder der Hand, eines Stabes oder z. B. eines Geigenbogens werden Daten gewonnen über Ort, Geschwindigkeit und Verweildauer ("Digitalisierung" = in abzählbarer Weise darstellen). Hieraus werden neue Datensätze zusammengestellt, die für die Klangerzeugung und Klangbeeinflussung verwendet werden können. So kann der Ort die Tonhöhe bzw. Samples bestimmen, während die Geschwindigkeit des Eintauchens die Lautstärke festlegt. Seitliche Bewegung in der Lichtfläche moduliert beispielsweise die Klangfarbe.
Solange die Sensoren wenige Reflexe detektieren, stellt Digitus sehr viele Möglichkeiten der Klangmanipulation bereit; sobald eine große Zahl von Fingern (oder Händen oder Stäben) in die Lichtfläche greifen, treten die Klangmanipulationen zurück zugunsten eines "unbeschränkt" polyphonen Spiels.
"Phonola" und "Digitus" sind ein Schritt in die Richtung interaktiver Gestaltungsfreiheit. Während das Laserlicht mit "Digitus" zu einem Sensor wird, mit dem Klangparameter kontrolliert werden können, stehen mit "Phonola" alle Variationsmöglichkeiten und der Nuancenreichtum musikalischer Ausdrucksmittel zur Verfügung, in Echtzeit kontrolliert und improvisatorisch visuelle Ereignisse zu steuern.